von Thomas Koch
Was Werbungtreibende und Agenturen von ihren Kampagnen erwarten, grenzt an Magie. Dieser eine Kontakt – meist sind es je Kampagne nur eine Handvoll pro Zielperson – mit der Botschaft des Absenders soll die Aufmerksamkeit der Zielpersonen „erregen“ und eine Verhaltensänderung oder Aktion auslösen. Das erwarten sie, obwohl sie nur eine von 10.000 Botschaften erzeugen, die bekanntlich jeden Tag um unsere Aufmerksamkeit kämpfen.
Die erhoffte Aktion hat in der überwältigenden Mehrzahl aller Fälle etwas mit Umsatz zu tun. Denn Werbung, so die Erfinder dieser Tätigkeit, soll „die Zielgruppe über ein Produkt informieren und den Absatz fördern“. Es gibt Tage im Marketing, an denen wir dieses Ziel aus den Augen verlieren.
Es geht bei Werbung tatsächlich um so etwas wie Erregung. Man muss sich das vorstellen wie bei den Spermien. Jeder Schuss enthält 100 bis 500 Millionen Spermien, doch nur einer kommt ans Ziel und „aktiviert“. Es hat auch viel mit der Funktionsweise unseres Gehirns zu tun, das im Reptilienzeitalter stehengeblieben ist. Es stellt seit Hunderttausenden von Jahren bei jeder „Botschaft“, jedem Signal und jedem Ereignis die gleichen drei Fragen: Ist es gefährlich? Kann ich es essen? Und: Kann ich Sex damit haben?
Werbung für Joghurt und Schokoriegel beantwortet zumindest die zweite Frage. Aber ansonsten tun sich die Werber unendlich schwer, mit ihren Botschaften überhaupt durchzukommen.
Das erklärt, warum 89 Prozent aller Botschaften und Kampagnen Null Wirkung erzeugen. Genau null. Es sei denn, man möchte zu den 7 Prozent gehören, deren Werbung negativ in Erinnerung bleibt. Nur 4 Prozent werden, so behauptet die britische Werbelegende Dave Trott, positiv erinnert. Das ist nicht viel, aber nun einmal Fakt. Gibt das Kreativen und Mediaexperten zu denken? Nein. Die Kunden sind auch nicht viel besser. 88 Prozent von ihnen sagen, dass Onlinewerbung keinerlei Wirkung auf ihr Geschäftsergebnis hat. Sie steigern dennoch ihre Online-Werbung in diesem Jahr um sage und schreibe 23 Prozent.
Die Magie des richtigen Augenblicks
An Magie grenzt auch das Senden der richtigen Botschaft an die richtige Zielgruppe im richtigen Augenblick. Die meisten Kampagnen bestehen aus einer zentralen Botschaft. (Das ist natürlich Unsinn, denn viele Kampagnen besitzen leider keine erkennbare Botschaft. Aber gehen wir trotzdem vom Idealfall aus.) Diese wird nun über die Medien an die Zielgruppen-Menschen hinausgestreut.
Die Botschaft erreicht den Printleser daheim am Küchentisch oder auf der Couch. Den Radiohörer im stressigen Stau zur Arbeit. Den TV-Zuschauer abends bei Einschlafen. Und den Online-User, während er/sie verzweifelt die Wegklick-Kreuzchen sucht, um einen Artikel online zu lesen oder eine sich entwickelnde Krankheit ausgoogelt.
So kommt es in der Mehrzahl aller Fälle vor, dass uns eine Botschaft zu erreichen versucht, während sie gerade völlig irrelevant ist. Schuld daran ist nicht die Zielgruppe, sondern die Werber, denen die Relevanz des Augenblicks gleichgültig ist. Sie steuern die Werbekontakte seit Jahrzehnten nach gänzlich anderen Kriterien: nach Wirtschaftlichkeit und Commitments oder – noch schlimmer – nach Meinungen und Trends.
Der Zielgruppe ist das wiederum gleichgültig. Es kommt ihr sogar entgegen. Denn so tut sie sich noch leichter, die irrelevanten Kontakte auszublenden. Hierbei hilft wieder unser Gehirn, das nur Millisekunden benötigt, um festzustellen, dass 89 bis 99 Prozent der Botschaften gerade völlig irrelevant sind. Das wissen 100 Prozent aller Hirnforscher, aber offenbar nur vier Prozent der Werber.
Schon die Zielgruppe ist falsch
Überhaupt Zielgruppe. Damit tun sich die Werber seit jeher schwer. Die definierte Zielgruppe hat mit dem tatsächlichen Potential oft nur wenig zu tun. Noch schlimmer ist es seit der (Wieder-) Entdeckung der „Personas“ geworden. Die Werber malen sich die Zielgruppe aus, wie sie sich die Käufer wünschen (eigentlich wie sie selbst gerne sein möchten): jung, gutaussehend, dynamisch, kaufhungrig, markenbesessen, modern und ganz wichtig: digital natives.
Die wahren Käufer ihrer Marken sehen leider gänzlich anders aus: Die meisten sind jenseits der 50 und klagen über Rückenschmerzen. Die wenigen jüngeren Menschen in der Zielgruppe haben einen befristeten Arbeitsvertrag oder jobben in schlecht bezahlten Praktika und fragen sich, wie sie jemals von Zuhause ausziehen können.
Wenn man bei der Zielgruppe so fatal danebenliegt, wählt man zwangsläufig die falschen Medien aus. Dabei eine echte Zielperson im richtigen Augenblick anzusprechen, wäre tatsächlich pure Magie. Doch nicht einmal das bekämen die Werber mit, während sie an ihren Dashboards sitzen und die (versehentlichen) Klicks entlang der ominösen Customer Journey beobachten.
Die Werber machen sich ihr Leben unnötig schwer. Denn die Digitalisierung und Atomisierung der Medienwelt liefert ihnen alles, was sie für ihre Arbeit brauchen: Medien und mediale Situationen in Überfluss. Das behaupten Kommunikationsexperten seit 20 Jahren.
Doch unsere Werber macht dieser Überfluss offenbar hilfloser als je zuvor. Ihre Medienwahl ist heutzutage allzu häufig gesteuert von Buzzwords („Digital first“) und allem vermeintlich Neuen („Influencer“), dem man dringend sein Marketinggeld hinterherschmeißen muss. Den Konsumenten ist das gleichgültig. Sie bestrafen auch das mit Missachtung.
Jetzt hilft wirklich nur noch Magie. Der Begriff „Magie“ hat zwei Bedeutungen: die vermeintliche Einflussnahme auf Personen, Dinge oder Ereignisse auf übernatürliche Art und Weise. Oder auch die Faszination, die von etwas Bestimmtem ausgeht.
Wenn wir die Verbraucher schon nicht mittels Big Data, Algorithmen und Artificial Intelligence zu unseren Marketing-Sklaven und Kauf-Robotern machen können, sollten wir wenigstens versuchen, sie zu faszinieren. Das erreichen wir, indem wir die Richtigen unter ihnen mit dem richtigen Medium im genau richtigen Augenblick ansprechen.
DOOH – der neue Stern am Medienhimmel
Für den richtigen Augenblick hat sich an der Medienfront ein neues Medium entwickelt, dass sogar höhere Steigerungsraten an den Tag legt, als selbst die Onlinewerbung: Digital-Out-of-Home. Diese Screens, die meist 10-sekündige Bewegtbild-Spots ausstrahlen, sind viel mehr als nur eine digitalisierte Form des guten alten Plakates. Denn sie stehen eben nicht auf der Straße, sondern an und in Orten, in denen sich die Verbraucher bewegen: in Supermärkten, Bahnhöfen, Raststätten, Shopping Malls, Bahnen, aber auch in Fast Food-Restaurants, Arztpraxen, Apotheken oder Fitness-Studios.
Das Faszinierende an diesen Werbeflächen ist, dass sie auf gleich zwei Wegen ihre erwiesene Wirksamkeit entfalten: als letztem Kontakt unmittelbar vor Konsum oder Kauf – und im genau richtigen Augenblick. Im Fitness-Studio für den nahgelegenen McDonald’s werben? Genau! Denn findige Werber wissen, dass sich viele Fitness-Begeisterte nach dem Training einen Big Mac mit Pommes gönnen. In der Shopping Mall für Coca Cola werben? Unbedingt! Denn die Mall-Betreiber wissen, dass 80 Prozent ihrer Besucher hungrig und durstig den Food Court besuchen. Im Supermarkt für das neue Angebot einer Marke werben? Natürlich! Denn Werbung so unmittelbar an Verbraucher in Kauflaune am POS steigert den Abverkauf erwiesenermaßen: meist um 20 bis 60 Prozent.
Doch DOOH kann mehr als „nur“ den Umsatz zu fördern. Studien zeigen, dass die Hinzunahme von DOOH im Media-Mix praktisch jeden Key Performance Indicator in die Höhe schnellen lässt: Traffic, Markenbekanntheit, Werbeerinnerung, Kaufbereitschaft. Es ist der letzte Anstoß, der den magischen Impuls setzt.
Reichweite, Relevanz und der Richtige Augenblick
Reichweite, Relevanz und der Richtige Augenblick sind drei simple Voraussetzungen für Marketing-, Werbe- und Mediaerfolg. Es sind diese drei „Rs“, die wahrhaftige Magie auslösen.
Reichweite erzeugen die mehr als 126.000 digitalen Werbeflächen wie kein zweites Medium. Die Private & Public Screens-Studie des Digital Media Institutes weist für DOOH wöchentliche Reichweiten von mehr als 70 Prozent aus, in den mobilsten und attraktivsten Zielgruppen sind es annährend 90 Prozent. An klassischen POS-Flächen wie Malls, Supermärkten, Drogerien oder Apotheken erzeugt DOOH in jeder Woche 200 Millionen Kontakte bei Menschen in Kauflaune.
Relevanz entsteht schon durch die Nähe zum Kaufakt. Werbung für Kaffee oder Süßigkeiten im Fernsehen bildet und stärkt die Marke, ist jedoch vom nächsten Kaufakt bisweilen Tage entfernt. Unmittelbar vor dem Kauf erinnert DOOH-Werbung an die Qualität und Vorzüge der Marke in bewegten Bildern und in einer Art und Weise, von denen Handzettel und Prospekte nur träumen können. Im genau richtigen Augenblick stößt die Werbung auf aufmerksame Augen. Die Verbraucher sind voll und ganz auf ihren Einkauf fokussiert. Eine bessere Situation für Werbung kann es für Marketing und Vertrieb kaum geben.
Die Zukunft von DOOH
Die Zukunft sieht rosig aus. Aktuell investieren Werbungtreibende alljährlich 1,5 Mrd. Euro in Außenwerbung. In wenigen Jahren soll die 2 Mrd.-Grenze überschritten sein. Die digitalen DOOH-Screens sind dabei die großen Wachstumstreiber. Während sie heute bereits ein Drittel aller Außenwerbe-Spendings auf sich ziehen, wird ihr Anteil bald die Hälfte erreicht haben.
Einen Grund für diese Entwicklung haben wir beleuchtet: Digitale Screens entstehen an unzähligen Touchpoints mit dem Endverbraucher, an denen es zuvor keine Werbemöglichkeiten gab. Der zweite Grund heißt: Programmatic. Durch die automatisierte Auslieferung digitaler Werbung ist es schon heute möglich, kleinste Zielgruppen gezielt anzusprechen.
Ein Beispiel liefern die Daten der Otto-Gruppe. Hier verfügt man über die Daten von 40 Millionen Kunden, die genutzt werden können, um einzelne Verbraucher (absolut DSVGO-gerecht) in Echtzeit dort anzusprechen, wo sie sich gerade aufhalten. Zum Beispiel in der unmittelbaren Nähe einer digitalen Werbefläche in der Shopping Mall, im Supermarkt oder Kino. Heute wird jedes zehnte Plakat digital ausgeliefert; in fünf Jahren soll der Programmatic-Anteil laut Prognose auf ein Drittel anwachsen.
Das Medium ist nicht aufzuhalten. Doch bei aller technischen Begeisterung für die automatisierte Auslieferung, die sich im Übrigen jedes Jahr weiterentwickelt, bleibt DOOH ein Massenmedium. Es ist zusammen mit den Papier-Plakaten das letzte große Massenmedium, das große Reichweiten liefert. Und da Reichweite die wichtigste Voraussetzung für Aufmerksamkeit und Werbeerfolg immer war und bleiben wird, werden sich Vertriebs- und MarketingleiterInnen an der Wirkung keines Mediums so erfreuen wie an der digitalen DOOH-Außenwerbung. Es ist tatsächlich ein wenig wie Magie.
Vita Thomas Koch
Thomas Koch ist 69 Jahre alt und seit 49 Jahren im Media-Business. Vierzehn Jahre verbrachte der Mediaplaner zunächst in namhaften Werbeagenturen, u.a. als Media-Chef bei GGK in Düsseldorf und Ted Bates Worldwide in Frankfurt. 1987 machte er sich in Düsseldorf mit thomaskochmedia (tkm) selbständig. tkm wird zur größten unabhängigen Mediaagentur Deutschlands.
2002 fusionierte Koch seine Agentur mit Starcom, wird CEO von tkmStarcom und somit der siebtgrößten Mediaagentur Deutschlands. 2007 stieg er aus und 2008 in die Geschäftsleitung der unabhängigen Mediaagentur Crossmedia ein. 2010 ist er Mitgründer von Plural Media Services in Berlin und coacht in Krisengebieten junge, regierungsunabhängige Medien. Von 2011 an berät er mit seiner Beratungsfirma tk-one Unternehmen, Medienhäuser und Agenturen. 2019 gründet er The DOOH Consultancy als erste Beratungsagentur für das Trendmedium Digital-Out-of-Home.
Thomas Koch ist regelmäßiger Kolumnist für Wirtschaftswoche, Absatzwirtschaft, Meedia und Werben&Verkaufen. Er ist Autor der Bücher „Werbung nervt!“, „The Media Business For Pioneers“, „Die Zielgruppe sind auch nur Menschen“ und „Media leicht gemacht“.
Capital bezeichnete Thomas Koch 1995 als „Profiliertesten Vordenker der deutschen Werbung“. 2004 nahm ihn Media & Marketing Europe in die Galerie der 15 Personen auf, die die europäische Werbebranche am meisten bewegten – zusammen mit Maurice Levy, Rupert Murdoch und Sir Martin Sorrell. 2008 wurde er im Rahmen des Deutschen Mediapreises zur Mediapersönlichkeit des Jahres gewählt. 2011 erhielt Koch für sein Engagement in Krisengebieten von der Jury des SignsAwards die Auszeichnung als „Zeichensetzer“.
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