Seit 18 Monaten bestimmt die Pandemie große Teile unseres Lebens. Der Einzelhandel ist eine der besonders stark betroffenen Branchen. Zwar konnten die Lebensmittelgeschäfte weiter öffnen, auch für sie hat sich aber vieles verändert. Schließung der gastronomischen Angebote, Zutrittsbeschränkungen, Abstandsregeln oder Maskenpflicht – Tag für Tag waren die gravierenden Einschnitte sichtbar. Hinzu kamen die weniger sichtbaren Herausforderungen wie die starke Veränderungen des Nachfrageverhaltens oder die massive Störung logistischer Strukturen.
Und trotz der vielen neuen Aufgaben, trotz der massiven Herausforderungen hielten die Frauen und Männer in der Lebensmittelbranche die Läden am Laufen, auch unter schwersten Bedingungen. Und: Es wurde auch weiter an den wichtigen Zukunftsthemen gearbeitet. Innovation und Investitionen mussten der Pandemie nicht weichen. Die Regionalität der Sortimente wurde weiterentwickelt, Bio-Angebote wurden ausgebaut, Nachhaltigkeitsthemen wie Energiemanagement, Verpackungsreduzierung oder Tierwohl wurden weiterentwickelt, unbares Bezahlen, elektronische Preisauszeichnung und Self-Scanning wurden forciert.
Zu beobachten war in den Zeiten der Pandemie eine deutliche Veränderung des Verbraucherverhaltens. Die Menschen sind weitaus weniger zum Einkaufen gegangen, dafür sind die Durchschnittsbons deutlich gestiegen. Profitiert haben von diesen Entwicklungen zum einen die Vollsortimenter, zum anderen der Online-Handel. Das starke Wachstum der Online-Anbieter wurde tatsächlich dadurch begrenzt, dass nicht genug Kapazitäten vorhanden waren, die enorme Nachfrage abzudecken. Auch die zahlreichen neuen Anbieter mit ihren auf sehr schnelle Lieferung ausgerichteten Konzepten konnten in diesem Umfeld gut in den Markt starten. Insgesamt ist der E-Food-Markt in 2020 nach Berechnungen des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel um fast 70 Prozent gewachsen, und auch in 2021 setzt sich dieses Wachstum fort. Allerdings bleibt der Marktanteil mit rund 1,5 Prozent weiterhin noch auf einem sehr niedrigen Niveau.
Bei den stationären Geschäften konnten vor allem die Vollsortimenter, also die Supermärkte und die SB-Warenhäuser punkten und Marktanteile hinzugewinnen. Während die Discounter ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich nur gut 5 Prozent steigern konnten, erreichte das Wachstum der großen Supermärkte mit 13 Prozent einen absoluten Spitzenwert.
Die Lebensmittelgeschäfte insgesamt haben natürlich auch sehr stark davon profitiert, das Gastronomie und Kantinen über viele Wochen geschlossen waren und auch die Urlaubsreisen ins Ausland stark eingeschränkt waren. Bedenkt man, dass in Deutschland rund ein Drittel der gesamten Ernährungsausgaben auf den Außer-Haus-Verzehr entfällt, dann kann dies natürlich nicht überraschen. Bis in den Sommer 2021 hinein hat dies die Umsätze der Lebensmittelgeschäfte beflügelt, seit dem Sommer spürt die Branche aber die Rückkehr zur Normalität.
Bei den Supermärkten hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt, dass die selbständigen Kaufleute deutlich mehr Umsatzwachstum erreichen konnten als die Regiebetriebe. Für die Menschen in Deutschland ist ein starker selbständiger Einzelhandel ein Garant für hohe Qualität, Nachhaltigkeit, Innovation und Fortschritt.
Auch die Discounter versuchen, sich immer stärker als Qualitätsanbieter zu positionieren. Sie bauen Ihre Sortimente aus, setzen auf Bio und Nachhaltigkeit, bieten immer mehr Service, investieren in die Einrichtung und verschönern ihre Märkte.
Der Supermarkt muss reagieren und seinerseits neue Akzente setzen. Mehr Technik, mehr Bedienung, mehr unverpackte Ware, mehr Eigenproduktion, mehr Gastronomie – damit suchen die Vollsortimenter ihre Differenzierung. Allen voran die selbständigen Kaufleute mit Ihrem ungebremsten Unternehmertum.
Und sie scheinen den Nerv der Verbraucher zu treffen. In den letzten Jahren wachsen die Supermärkte immer wieder stärker als alle anderen Betriebstypen des LEH. Bewussteres Ernährungsverhalten, mehr Fokus auf Gesundheitsfragen, Tierwohl, Plastikabstinenz und Ressourcenschutz – diese Themen werden offensichtlich von den Supermärkten unter selbständiger Führung am besten bedient.
Aber die Selbständigen müssen wachsam bleiben. Es gilt, die neuen Entwicklungen früh zu erkennen. Zum einen brauchen die selbständigen Unternehmer ihre starken Genossenschaften, um im breiten Sortiment wettbewerbsfähige Preise anbieten zu können. Auch die breite und weiter wachsende Palette an Eigenmarken braucht eine starke nationale Partnerschaft, ebenso die steigenden technologischen Anforderungen. Darüber hinaus sind es aber die lokalen Anforderungen, die nur durch ein ausgeprägtes Unternehmertum vor Ort abzudecken sind. Gastronomische Angebote und Convenience-Produkte für den wachsenden Außer-Haus-Markt bleiben im Fokus, Eigenproduktion in den Märkten wird weiter an Bedeutung gewinnen, regionale Sortimente bis hin zu eigenen exklusiven Züchtungen bieten starke Profilierungschancen. Aber auch die neuen Möglichkeiten zu innerstädtischen Standorten müssen konsequent verfolgt werden. Und nicht zuletzt darf auch der Online-Markt für Lebensmittel nicht vernachlässigt werden. Auch hier ist in der jüngsten Vergangenheit vieles in Bewegung geraten. Es gibt also viel zu tun. Wunderbare Zukunft!
Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute